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Renan Demirkan

Wenn der Krebs zum Haustier wird

leben - lieben und arbeiten mit einem Trauma

Genre: Sachbuch, Essay
Seiten: 94
ISBN: 978-3-944566-84-9
Bemerkung

EUR 10,00

Anzahl

Meine tiefste Erfahrung nach der Diagnose ist, dass die stillen, nagenden und überfordernden Probleme der
Krebserkrankung erst so richtig nach der Reha begonnen haben. Als der Alltag wieder losging.
Jenes Leben – in dem man jahrelang - vor dem einschneidenden Befund - zuhause war – mit Familie und Beruf –
mit Haushalt und Träumen. Aber plötzlich fühlte ich mich obdachlos. Denn nun hatte ich einen neuen Alltag mit
Hormonblockern, deren Nebenwirkungen und den, nun auch noch lebenswichtig gewordenen, Nachuntersuchungen,
die mich, noch immer, jedes Mal komplett aus der Bahn werfen.
Und so war ich nicht einmal annähernd in der Lage, auch nur Teile aus dem Katalog der ärztlichen Ratschläge
regelmäßig zu umzusetzen:
Achten sie auf ihre innere Balance!
Tun sie sich Gutes!
Vermeiden sie Stress!
Versöhnen sie sich mit sich Selbst!
Und bewegen sie sich täglich!
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht - aber obwohl ich eigentlich relativ diszipliniert bin, mag ich mich nicht jeden Tag
bewegen. Und bin auch nicht immer ausgeglichen - sogar eher selten. Und Stress ist für mich als selbstständige und
freischaffende Künstlerin mein siamesischer Zwilling, dem ich gar nicht entkommen kann.
Also habe ich da nicht einmal die Freiheit zu entscheiden, ob ich ihn will oder nicht. Er ist da.
Und der Stress ist erst recht da, wenn noch Kinder betreut werden müssen - Eltern oder ein Partner, oder wenn das
Geld als Alleinverdiener gesichert werden muss.
Dann gibt es kaum eine freie Sekunde nur für sich Selbst. Geschweige denn einen Ort, an den man sich ohne
größeren Aufwand zurückziehen kann, um wenigstens ein bisschen zu pausieren, inne zu halten, sich eine Insel zu
schaffen oder ein kleines Raumschiff, mit dem man mal kurz davonfliegt.
Auch wenn es etwas kitschig klingt, diesen Ort gibt es! Er ist in Ihnen. Genau an der Schnittstelle wo aus Gefühlen niedergeschriebene Sprache wird. Und diese Transformation ist universell. Sonst gäbe es keine Literatur in der Welt und keine Philosophie, keinen Sokrates und
keinen Goethe, und auch keinen Stephen King und keine Rosemunde Pilcher. Und all die Abermillionen von
Tagebuchschreiber und -schreiberinnen.
Jeder Mensch hat diesen Ort in sich, auch die, die nicht professionell schreiben. Wir alle haben ihn in uns, als Haus
mit tausend Fenstern und Geheimtüren oder als einen Stadtplan mit Einbahnstraßen und Sackgassen, manchmal
sieht er aus wie ein voll gestelltes Parkhaus oder eine einsame Wüstenlandschaft. Dieser Ort ist so verschieden wie
die Fingerabdrücke der Menschen.

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